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Vorsicht, Porzellan

VORSICHT, PORZELLAN

 

 

I

ch stellte den Teller auf den Tisch.

Seine filigranen Zeichnungen habe ich mir nie einprägen wollen. Sind doch die Teller, die ich dem Stapel im rechten Fach des Schrankes entnehme, lediglich Umstand meiner Zeit, deren Fülle genauso vergeht wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Noch nie habe ich einen Teller absichtlich zerschlagen.

Vielleicht weil ein Teller nicht provoziert wie ein Glas, das in seinen Glanzzeiten unentwegt zum Besäufnis auffordert. Außerdem habe ich einen Teller nötiger als ein Glas, das ich jederzeit mühelos durch die Flasche ersetzen kann und diese wiederum durch die nächste; drückt doch eine Flasche kräftig gegen den Handballen, läßt sich streicheln und dennoch gegen die Wand werfen, wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach dumpf zerbricht. Ein Teller aber liegt umständlich zwischen den Fingern und ihren Ansätzen und fordert damit von selbst zur Vorsicht auf. Der Bauch einer Flasche ist nebenbei bemerkt auch nicht das selbe wie die Höhlung eines Tellers. Das wird wohl jeder verstehen können. Und dann: liegt nicht in jedem Teller ein Polterabend, die Ankündigung einer Verbindung zweier sich liebender Menschen auf Leben und Tod?

 

I

Ich stellte oft einen Teller auf den Tisch.

Man sagt. drei Mal ist die Regel. Auch ich habe aufgehört, dagegen zu rebellieren in der Erkenntnis, daß es letztlich einfacher ist, das Hungerzentrum einem gleichbleibendem Rhythmus zu unterwerfen als sich selbst den Schwierigkeiten spontaner Nahrungsaufnahme. Schließlich leben wir in Zeiten der Selbstdisziplinierung.

 

I

ch griff auch zu Löffel, Gabel und Messer.

Ich grenzte den Teller damit ein, steckte mein Revier akkurat ab.

Löffel konnte ich immer gut leiden; vielleicht weil sie mich an Eileiter und Gebährmutterhöhlen erinnern, an Ovulationen und Empfängnisschutz, also an Liebe. Alles hat wohl seinen Sinn, was sich dem Raum des Mundes optimal anpaßt und im Bauch seinen Höhepunkt erlebt.

Die Gabel aber bleibt mir bis heute fremd; bestimmt aus der Angst heraus, mich an ihr zu verletzen. Eine Gabel kann ich mir hundertfach vergrößert vorstellen und mit ihrer Hilfe mühelos Bauerkriege zelebrieren, Vergewaltigungen in dunklen Tennen und Elternmorde. Nein, eine Gabel ist und bleibt ein zwiespältiges Ding. Selbst bedrohlich stellt sie sich auch zur Bedrohung Anderer zur Verfügung, doch wenn es endlich so weit ist, versteckt sie sich wie blindgeschlagen in der Lade.

Wie lieb und vertraut ist mir dagegen das Messer. Vor allem dann, wenn wir uns in unerträglicher Spannung gegenüber sitzen. Ein Messer hält sich ebenso gut in der Vergangenheit wie auch in der Phantasie. Das Wertvollste an ihm aber ist, daß es sich blitzschnell der Gegenwart anzupassen weiß. Mit einem scharfen Messer läßt sich jede Pulsader durchschneiden, jede Kehle, jedes Herz, jeder Angriff abwehren. In Zeiten des Glücks hinterließ ich gern Messerkerben in Holz und Blattwerk. Leider weiß ich heute nicht mehr, wo sie geblieben sind, in welchen Händen, vor welchen Augen, in welcher Erde, in welchem Land, unter welchem Himmel. So habe ich die Suche danach als völlig sinnlos allen nur möglichen Heimatorten überlassen und erlaube mir, ein wenig zu übertreiben, was die Glückzeiten und Heimatorte betrifft.

 

So vergeht die Zeit.

Stunden, Tage und Jahre, die ich am Tisch verbringe, vor Tellern, deren filigrane Zeichnungen nichts bewirken und deren immer über mich hinaus ersetzbares Porzellan lediglich Umstand meiner abnehmenden Lebensfülle sind, nicht mehr und nicht weniger.

So vergeht die Zeit.

 

D

anach spülte ich das Geschirr ab.

Mein Gehirn auf Sparflamme geschaltet mußte ich den noch dumpfen Schmerz heimlicher Wünsche also akzeptieren. Dagegen soff ich an oder fraß in mich hinein, was hineinpassen wollte. Niemals aber kotzte ich mich aus. Es blieb mir ein Greuel, mich übergeben zu müssen. So wuchs mein Bauch, während ich spülte, Tag für Tag. Meine Hände wusch ich gleich mit in ihrer Unschuld, überließ ihre zerstörten Fingerkuppen dem Schicksal und hütete beides wie meine Augäpfel. An ihnen hing mein ganzes Leben. Das war mir klar.

 

B

is auch sie eines Tages die Kraft verließ.

Völlig unvermittelt spreizten sich die Finger und ließen den ersten Teller meines Lebens zu Boden fallen, wo er klirrend zersprang und samt seiner Porzellanteilchen mit den filigranen Zeichnungen durch den Raum schleuderte.

Ich erschrak, zweifelte plötzlich an meinen Fähigkeiten. Zur Prüfung zog ich einen zweiten Teller aus dem Schrank und stützte dessen Boden sogleich mit der linken Hand ab. Mein Gehirn lauerte. Der Teller hielt stand, und wurde damit zum Feind. Ich forderte ihn heraus, indem ich die linke Hand zurückzog. Da verwandelte sich der Teller zu Stein, die Finger der rechten Hand spreizten sich - und...klirrrrr......fiel das Porzellan zu Boden.

Mein Kopf löste sich über dem Scherbenhaufen unter meinen Füßen auf. Ich wurde leichter und leichter, während das Gefühl von Sattheit mich verließ und dem Hunger nach Nichts Platz machte. Bald nahm ich den dritten Teller und warf ihn zu Boden. Mit dem vierten machte ich das selbe, mit dem fünften, dem sechsten, dem siebten, dem achten, dem neunten - dann endlich war der Schrank leergefegt und ich wandelte barfüßig über die Scherben hinaus in den Flur und in’s Bad hinein, wo ich mich glücklich übergab.

 

 

 

Seitdem

esse ich nichts mehr; betrachte stattdessen die sich glättenden Fingerkuppen meiner Hände und staune über ihre Berührungen, die behutsam mein eigenenes Leben nach und nach wieder zum Vorschein bringen; unbeschreiblich und ohne den zartesten Farbton eines möglicherweise falsch verstandenen Glücks.

 

copyright Pola Lilith 1988

JANUAR  
  Und verläßt dich die Kraft, erhebt sich die Welt...!  
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